Mehr als die Hälfte (50,64 %) der Weltbevölkerung nutzt inzwischen soziale Medien. Von den 4,57 Milliarden Internetnutzern sind 83,36 % aktive Nutzer. Im Jahr 2022 betrug weltweit die durchschnittliche tägliche Nutzung von Social Media 151 Minuten pro Tag, gegenüber 147 Minuten im Jahr 2021.
Gehen wir zunächst einen Schritt zurück in die Geschichte: 1969 war das Internet noch ein Projekt des US-Verteidigungsministeriums. Damals gab es noch keine Chats und E-Mails, so dass man sich keine Gedanken darüber machen musste, wie man sein Gegenüber im Internet respektvoll behandelt.
In den 1980er Jahren entstand die erste Kommunikationsregel „Netiquette», diese im Zusammenhang mit der Nutzung der ersten E-Mail-Systeme. Die oberste Kommunikationsregel lautete: „Vergiss nie, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt“.
Was ist aus dieser Regel geworden?
Abgesehen davon, dass immer mehr Zeit auf Social-Media-Plattformen verbracht wird, wird Kommunikation auf Social Media Kanälen immer respektloser und auch für so manchen Kommunikationsverantwortlichen eines Unternehmens zur Herausforderung.
Wir leben in einer Zeit, in der Unternehmen die Geschäfts- und Kommunikationsethik in den Vordergrund stellen und Führungskräfte und Top-Manager „Ethik“ predigen, wie es ein Pfarrer kaum besser machen könnte.
Ehrlichkeit, Fairness, Offenheit und Transparenz sind die Kernprinzipien, Respekt, Integrität, Mitgefühl, Verantwortung, Loyalität, Gesetzestreue und Umweltbewusstsein gehören dazu.
Die Grundlage der Umsetzung dieser Prinzipien bedingt professionelle von Empathie geprägte Kommunikation – Kommunikationsethik.
Damit sie umgesetzt werden können, müssen diese Werte die Grundlage für alle Beziehungen der Organisation zu ihren Mitarbeitern, Lieferanten, Interessengruppen und Kunden werden.
Aber seien wir ehrlich: Ist dies nur ein Trend, dem alle anhängen, weil er von zukunftsorientierten Unternehmen erwartet wird, oder wird dieses ethische Verhalten auch gelebt? Die Unternehmen versuchen ihr Bestes, um nachhaltige, ethische Leistungen zu erbringen. Denn das trägt dazu bei, Investoren anzuziehen, Kunden zu binden, ihre finanzielle Leistung zu verbessern, und sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen…
Doch hier tut sich eine Verhaltenslücke auf: Wenn wir uns auf die individuelle (Social-Media-) Kommunikation konzentrieren, ist die Leistung des persönlichen Respekts und der Kommunikationsethik nicht sehr hoch. Sei es unter dem Namen einer Person oder, noch schlimmer, mit einem gefälschten Kontonamen.
Dies zeigt sich oft in den Kommentaren zu Medienartikeln oder Beiträgen in den sozialen Medien. Sie sind weder sachlich noch objektiv in ihrer Kritik, sondern immer wieder beleidigend, diffamierend und verletzend.
Keine Netiquette mehr – was sind die Gründe?
Wut und Frustration: Soziale Medien können für viele Nutzer zu einer Quelle von Wut und Frustration werden, weil sie spaltende Inhalte, Fehlinformationen und Online-Belästigungen verbreiten. Diese Frustration kann in Interaktionen überschwappen und zu respektlosem Verhalten führen.
Anonymität: Viele Social-Media-Plattformen ermöglichen es den Benutzern, anonym zu bleiben oder Pseudonyme zu verwenden. Diese Anonymität kann dazu führen, dass sich Menschen bei persönlichen Interaktionen anders verhalten, da sie sich für ihre Worte und Handlungen weniger verantwortlich fühlen.
Enthemmungseffekt: Die Online-Umgebung kann zu einem Enthemmungseffekt führen, bei dem sich Menschen wohler fühlen, wenn sie extreme Meinungen äussern, trollen oder unhöfliches Verhalten an den Tag legen, weil sie nicht mit unmittelbaren Konsequenzen rechnen müssen.
Algorithmen in sozialen Medien bevorzugen oft Inhalte, die mit den Meinungen der Nutzer übereinstimmen. Dadurch entstehen „Echokammern“, in denen die Menschen Gleichgesinnten ausgesetzt sind. Dies kann zu extremerem und respektlosem Verhalten führen.
Das Fehlen von Interaktion von Angesicht zu Angesicht: Bei der Online-Kommunikation fehlen die nonverbalen Hinweise und Nuancen, die bei Gesprächen von Angesicht zu Angesicht vorkommen. Folglich werden die Absichten anderer leichter falsch interpretiert und es wird respektlos geantwortet.
Das gilt für Privatpersonen und Unternehmen: wie geht man damit um?
Bereiten Sie sich gut vor. Wenn Sie die Fallstricke der sozialen Medien kennen, können Sie sich besser darin zurechtfinden. Bewerten Sie Online-Informationen kritisch, überprüfen Sie die Fakten und erkennen Sie Vorurteile.
Seien Sie sich bewusst, dass nicht jede Online-Diskussion es wert ist, sich darauf einzulassen. Daher sollte man, bei der Auswahl der Dialoge, an welchen Sie teilnehmen, wählerisch sein und sich nicht mit Personen einzulassen, die ständig respektloses Verhalten an den Tag legen. Nicht jede Online-Kontroverse ist es wert, sich darauf einzulassen.
Fördern Sie die Online-Höflichkeit: Fördern Sie respektvolles Verhalten in Ihren sozialen Netzwerken. Teilen Sie Artikel und Ressourcen über digitale Etikette und Höflichkeit und unterstützen Sie Initiativen, die die Online-Höflichkeit fördern.
Melden Sie Missbrauch: Die meisten Social-Media-Plattformen verfügen über Mechanismen zur Meldung von missbräuchlichem oder respektlosem Verhalten. Nutzen Sie diese Instrumente, wenn nötig, um ein sicheres Online-Umfeld zu schaffen.
Setzen Sie Grenzen: Wenn jemand Sie online nicht respektiert, ist es wichtig, Grenzen zu setzen. Sie können solche Personen je nach Schwere ihres Verhaltens ignorieren, stummschalten, blockieren oder melden.
Und ganz wichtig: Wenn die Interaktionen in den sozialen Medien Ihr psychisches Wohlbefinden beeinträchtigen, sollten Sie eine Pause von diesen Plattformen einlegen. Weniger Zeit online zu verbringen, kann helfen, Frustration, Aggression und Stress abzubauen.